abgeschlossen 06/2025
Die wissenschaftliche Literatur hat gezeigt, dass die Arbeitsbedingungen von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten sowie von Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten typischerweise körperlich anspruchsvoll und zum Teil mit negativen Belastungen der Wirbelsäule und daraus resultierenden Beschwerden im Bereich des unteren Rückens sowie der Schultern und des Nackens verbunden sind. Des Weiteren lassen sich Hinweise auf eine erhöhte Belastung von Ellenbogen, Händen und Handgelenken (distale obere Extremität) bei der Ausübung von manuellen Techniken, wie Gelenkmobilisation und Massage und Weichteiltechniken, finden. Bisher konnten nur wenige Studien ein arbeitsbedingtes Risiko für Beschwerden im Bereich der Daumen und Hände bei beiden Berufsgruppen oder gar bei Masseurinnen und Masseuren nachweisen.
Um die kumulativen Belastungen im Bereich der distalen oberen Extremität messwertbasiert abbilden zu können, sollte das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) im Auftrag der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) einen neuen Messansatz zur Erfassung der physischen Exposition der Daumen und der distalen oberen Extremität entwickeln. Dieser Ansatz soll langfristig für die Erstellung von Expositionskatastern genutzt werden. Bislang besteht jedoch noch keine Berufskrankheit.
Im Rahmen einer Laborstudie wurden insgesamt 15 Versuchspersonen untersucht, darunter elf Physiotherapeutinnen und vier Physiotherapeuten. Alle Teilnehmenden waren seit mehreren Jahren (zwischen 2,5 und 40 Jahren) im Beruf tätig und verfügten somit über eine umfangreiche praktische Erfahrung.
Mit Hilfe der mobilen Dynamometrie (z. B. Kraftmessung mit Sensorpads), mobilen Elektromyografie (Cometa) und mobilen Kinemetrie (Bewegungserfassung mit XSENS und XSENS Metagloves) wurde die Exposition der Hand, der Finger und insbesondere der Daumen während physiotherapeutischer manueller Tätigkeiten bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten und von Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (n = 15) in einer Laborstudie erfasst. Analysiert wurden vier zentrale Therapietechniken: klassische Massage, manuelle Therapie, manuelle Lymphdrainage und Triggerpunkttherapie, jeweils ergänzt durch ausgewählte Untertechniken. Die kinematischen Daten der distalen oberen Extremität wurden auf bekannte kinematische Parameter wie Haltung, Repetition, Bewegungsgeschwindigkeit und Bewegungsausmaß hin analysiert. Zur Bestimmung der Muskel-Skelett-Belastungen des Daumens, der Finger und des Handgelenks wurden zudem die dynamischen Daten (Aktionskräfte) sowie die elektromyografischen Daten (Muskelaktivitäten) herangezogen. Das eingesetzte Messsystem wurde auf seine Praktikabilität im Rahmen von Felduntersuchungen hin geprüft.
Zur Erhebung der Daten konnte ein standardisiertes Versuchsprotokoll sowie ein geeigneter Messansatz entwickelt werden. Diese erwiesen sich als zuverlässig und konnten bei allen Versuchspersonen erfolgreich angewendet werden.
Die Untersuchung der oberen distalen Extremität bei der Ausübung dieser manuellen Techniken ergab folgende Ergebnisse:
Schulter: Die kumulative Auswertung repetitiver Bewegungen im Schultergelenk deutet auf eine erhöhte Belastung bei Ausübung aller untersuchten Therapietechniken hin. Belastungen aufgrund von Tätigkeiten auf oder über Schulterhöhe traten hingegen bei keiner der untersuchten Techniken in einem relevanten Ausmaß auf.
Handgelenk: Die Bewertung mittels HAL-TLV (nach ACGIH, 2018) zeigte bei sämtlichen Techniken mindestens ein moderates Risiko für die Entwicklung muskuloskelettaler Beschwerden. Entsprechend wird gemäß den Empfehlungen der ACGIH eine regelmäßige Überwachung und Kontrolle der Belastung angeraten. Bei einigen Techniken zeigte sich sogar ein erhöhtes Risiko, was in der Literatur mit einer erhöhten Prävalenz muskuloskelettaler Erkrankungen wie dem Karpaltunnelsyndrom in Verbindung gebracht wird.
Daumen: Besonderes Augenmerk galt dem Daumensattelgelenk (CMC-Gelenk), das als Risikoregion für die Entwicklung einer Rhizarthrose bei manuellen Therapietechniken gilt. In allen untersuchten Techniken wurden endgradige Bewegungen in diesem Gelenk beobachtet. Ein standardisiertes Bewertungsverfahren zur objektiven Einschätzung der Belastung des CMC-Gelenks steht bislang jedoch nicht zur Verfügung. Die gewonnenen Ergebnisse können in ein Expositionskataster überführt werden und liefern einen ersten Einblick in die zu erwartenden Belastungsmuster für eine zukünftige Feldstudie. Besonders hilfreich erwies sich die standardisierte Unterteilung in Untertechniken, die eine differenzierte Analyse ermöglichte.
Für eine umfassende Bewertung der Gesamtbelastung über eine gesamte Arbeitsschicht ist jedoch eine Feldstudie erforderlich, da in der Praxis verschiedene Techniken in unterschiedlichen Anteilen kombiniert werden. Der entwickelte Messansatz ist auch für den Einsatz in einer solchen Feldstudie geeignet. Basierend auf den Erfahrungen aus der Laborstudie wird zudem eine Reduktion der Messsysteme angestrebt – beispielsweise durch eine EMG-Erfassung ausschließlich am dominanten Arm, da keine signifikanten Unterschiede in der Muskelaktivität zwischen rechter und linker Seite festgestellt wurden.
Gesundheitswesen
Gefährdungsart(en):Arbeitsbedingte Erkrankungen
Schlagworte:Muskel-Skelett-Erkrankungen (außer Krebserkrankungen)
Weitere Schlagworte zum Projekt:Rhizarthrose, Daumensattelgelenk, Finger, Physiotherapie, Manuelle Therapie, Muskel-Skelett-Belastungen
Braun, T.: Electromyography of the Forearm Muscles during Physical Therapy Tasks: Evaluation and Comparison of Normalization Methods. Masterarbeit, Deutsche Sporthochschule Köln, 2025
Campos, S.; Braun, T.; Glitsch, U.; El-Edrissi, O.; Gräßle, D.; Wanstrath, M.; Nienhaus, A.; Heinrich, K.: Measurement-based assessment of the load on the distal upper extremity during manual therapy techniques in physiotherapy. 12th International Scientific Conference on the Prevention of Work-Related Musculoskeletal Disorders, PREMUS 2025, Tübingen
Braun, T.; Campos, S.; Glitsch, U.; Wanstrath, M.; Nienhaus, A.; Heinrich, K: Electromyography of the Forearm Muscles during Physical Therapy Tasks: Evaluation and Comparison of Normalization Methods. 12th International Scientific Conference on the Prevention of Work-Related Musculoskeletal Disorders, PREMUS 2025, Tübingen
Campos, S.; Braun, T.; Glitsch, U.; El-Edrissi, O.; Gräßle, D.; Wanstrath, M.; Nienhaus, A.; Heinrich, K.: Messwertbasierte Erfassung und Bewertung der Belastung der oberen distalen Extremität bei manuellen Therapietechniken in der Physiotherapie - ein praxisnaher Messansatz. 71. Frühjahrskonferenz der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V., GfA Frühjahrskonferenz 2025, Aachen